Elon Musk übernimmt Twitter und marschiert mit einer Waschmuschel in die Zentrale. Er entlässt Teile der Führungsriege und freut sich, dass „Comedy“ jetzt wieder auf Twitter erlaubt sei.
Ja, das alles können Gründe sein, Twitter zu verlassen. Ansonsten kennen wir nur Ankündigungen, wissen wir wie Elon Musk bisher auf Twitter als Nutzer agiert hat. Aber auch wenn alles nicht so schlimm kommt, kann es gute Gründe geben, warum das Fediverse der bessere Ort ist um ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen.
Vorab: Obiges gilt im Wesentlichen auch für Facebook, Instagram und all die „Sozialen Netzwerk“, die von Firmen monolithisch und monopolistisch betrieben werden.
Die Gründe für das Fediverse
- Das Fediverse ist nicht kommerziell ausgelegt. Es gibt niemanden der ein Interesse hat, deine Nutzungsdaten an die Bestbietenden zu verkaufen. Somit gibt es auch keinen Grund dein Nutzungsverhalten so zu steuern, dass die Werbetreibenden dir ihre Produkte besser und öfter anbieten können.
- Es gibt gar keinen Algorithmus. Jede Nachricht ist gleichberechtigt und wird einfach in chronologischer Reihenfolge angezeigt. Für Verbreitung sorgen „Boosts“ (in Twitter hätte man „Re-Tweet“ gesagt) von denen, denen der Beitrag gefällt. Ein Like gibt nur dem:der Ersteller:in ein gutes Gefühl, bewirkt aber sonst gar nichts. Damit hat jede:r immer wieder die die Möglichkeit, dass der eigene Beitrag Beachtung findet.
- Das Fediverse kann niemand kaufen. Denn dann müsste jemand alle Betreiber von Instanzen/Servern überzeugen, die ihrige zu verkaufen. Und dann kann noch immer jemand wieder eine neue Instanz aufmachen.
- Das Fediverse sperrt nicht einfach zu. Wie oft habe ich einen neuen Dienst erlebt, der dann (weil kein Interesse, kein Geld oder die Belegschaft „aufgekauft“) wieder zusperrte. Das war es dann. Im Fediverse wählt man dann einfach eine andere Instanz – im besten Fall kann man auch noch einige seiner Daten mitnehmen (Stimmt, die Portabilität der eigenen Identität wäre das nächste große Ding für das Fediverse).
- Die Software (Mastodon, Friendica, Pixelfed, …) dahinter ist Open Source. Das heißt
- Jede:r kann sie verwenden und somit eine eigene Instanz einrichten.
- Jede:r kann die Software nach seinen Interessen abändern („Forken“ genannt)
- Jede:r kann prinzipiell die Software nach Schwachstellen untersuchen und Verbesserungen einmelden
- Damit ist das Risiko, dass die Software etwas im Hintergrund macht, was die Nutzer:innen nicht wollen (z.B. Daten sammeln) um einiges geringer als bei „Closed Source“ Software.
- Nochmals: Jede:r kann sich seine eigene Instanz installieren, seine eigenen Regeln festlegen. Die eigene Instanz kann auch einem allein dienen. Damit ist man quasi wie mit seinem Blog autark und doch kann man sich nach belieben mit einem großen Netzwerk verbinden.
- Es gibt mit „ActivityPub“ ein standardisiertes Austauschformat. Wer immer dieses nutzt, ist mit dabei. Es ist nicht perfekt und nicht jede Applikation hat es vollständig implementiert. Aber es reicht derzeit um Texte und meistens auch Bilder, GIFs und Videos auszutauschen, sich gegenseitig zu folgen, zu kommentieren und zu boosten.
- Es gibt offene APIs (Programmschnittstellen) zu den Applikationen. So gibt es Clients für Mastodon, die man auch für andere Fediverse-Applikationen nutzen kann, und auch Pixelfed arbeitet an einer iPhone/Android-App.
- Die Systeme sind prinzipiell offen(er) für andere Teile des Internets. So lassen sich RSS Feeds einbinden, Tweets empfangen oder senden, andere Software und soziale Netzwerke andocken. Sofern es jemand programmiert kann es Teil des Fediverse werden.
- Wir entwickeln die Regeln. Die oberste Regel ist das Strafgesetz eines Landes. Ansonsten kann jede Instanz im Fediverse festlegen, was für sie gilt. Sind Fotos mit toten Tieren ok, braucht es Triggerwarnungen, ist Pornographie in Ordnung und wenn ja, wie weit. Ich kann mir die Instanz suchen, wo ich mich am wohlsten fühle. Gefällt mir das alles nicht, dann gilt wieder: mach deine eigene Instanz auf. Wobei dasselbe gilt, wie bei der Redefreiheit. Du kannst auf deiner Instanz (fast) machen, was du willst, aber andere Instanzen müssen dir nicht zuhören (könne deine Instanz sperren).
- Obiges dient somit auch wieder einer gewissen „Re-Demokratisierung“ von Sozialen Netzwerken. Wir haben auf Facebook diskutiert, ob es nicht schon so weit verbreitet ist, dass es als öffentlicher Raum gelten müsste. Das Fediverse ist öffentlicher Raum. Hier kann, wer mag, auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Mitteln mit anderen in Kommunikation treten. Und prinzipiell hat niemand ein Megaphon (Algorithmus) um die anderen zu übertönen, alle reden auf gleicher Ebene miteinander.
Update vom 2. November 2022: Heute habe ich noch einen eigenen Artikel mit Argumenten für Vereine, Behörden, Firmen,… geschrieben.
Fällt dir noch etwas anderes ein? Dann bitte schreib mir doch bitte in die Kommentare.
Die andere Seite
Natürlich ist nichts perfekt. Der Einstieg in das Fediverse fällt manchen schwer – aber 2007 haben wir Twitter auch nicht verstanden 😉 Manche:r fragt sich, ob Mastodon zu viel Dominanz im System bekommen und wozu das führt. Wenn nun mehr Menschen in das Fediverse strömen haben manche Sorge, dass sich die Art der Kommunikation ändern wird.
Aber im Fediverse haben es die beteiligten Menschen viel mehr in der Hand, wie es sich gestaltet, als bei einem geschlossenen System, dass von Musks, Shareholder Value oder Datensammlungsinteressen angetrieben sind.
PS: Ich bin unter microblog.at/@roblen im Fediverse. Wenn es dich interessiert, du Fragen dazu hast. Soweit ich kann helfe ich gerne 🙂
Ich anerkenne die gute Intention, aber ich halte ein FidoNet 2.0 den zentralisierten Systemen für technisch unterlegen.
Alleine das ständige gegenseitige Updaten der Server ist notgedrungen mit Fehlern behaftet. Das wäre es auch dann, wenn das alles professionell gewartete Maschinen in großen Datencentern wären. Aber dazu kommt ja auch noch der amateurhafte Charakter und somit keinerlei Ausfallssicherheit. Für den professionellen Gebrauch ist das nicht geeignet.
Dazu kommt die von Dir angesprochene unvollständige Implementation des Protokolls auf unterschiedlichen Instanzen und Versionen dieser Instanzen.
Und, was ich persönlich am schlimmsten finde: Jeder Hausmasta kann seine eigenen Regeln implementieren und damit wird das Netzwerk löchrig (wenn ich zum Beispiel nicht weiß, ob ich mit einer bestimmten Person auf einem bestimmten Server kommunizieren kann; Oder, wenn ich nicht weiß, ob meine Inhalte auf manchen Servern ankommen oder nicht).
Ich für meinen Teil wünsche mir ein starkes öffentlich-rechtliches Soziales Netzwerk und zusätzlich internationale Kontrolle (vg. WTO) der bestehenden Netze nach einheitlichen Regeln.
FidoNet war lustig, aber das bringt’s heutzutage nicht mehr. Das wichtigste Argument für das dezentrale Netz waren damals die hohen Telefonkosten. Aber heute hat eh jeder seine „Standleitung“. Die Zeiten ändern sich.
Danke für den langen Kommentar und deine Gedanken. Ein paar meinerseits dazu:
Die technische Komponente kann ich (noch) nicht beurteilen. Auch nicht, ob es für den professionelle Gebrauch ungeeignet ist. Aber den suche ich hier gar nicht. Ich möchte ganz privat mich mit Menschen austauschen. Das funktionierte hier recht gut. Es mag vielleicht mal haken, aber die Vorteile (siehe in meinem Artikel) überwiegen hier. Abgesehen vom Austausch über #ActivityPub gibt es etwas, was ich oben noch nicht erwähnt habe. Meine (Micro)Messages sind auch öffentlich im Web erreichbar, über eine URL lesbar und auch über RSS einbindbar. Applikationen wie Mastodon, Pleroma oder Friendica kann ich somit auch als mein Blog (wie WordPress) verwenden. Ganz egal, ob mich ein „Hausmeister“ auf einem anderen Server sperrt oder nicht.
Und Peertube bzw. Pixelfed sind auch ohne Anbindung an Fediverse einfach freie Alternativen zu YouTube und Instagram/Flickr/… Wenn ich sie selbst installiere entscheide nur ich welche Videos und Fotos erlaubt und möglich sind. Die Anbindung an das Fediverse ist dann noch ein zusätzliches Asset. Ok, auf YouTube habe ich eventuell mehr Reichweite. Aber das muss jedeR abwägen, welche Aspekte hier wichtiger sind.
Das das Netzwerk löchrig ist ist unbestritten. Schon allein, dass manche Serverbetreiber bestimmte Instanzen, die eindeutig Nazi- und weiteren Schrott erlauben oder sogar fördern, einfach ausschließen. Dafür weiß ich bei Facebook zumindest nicht, ob meine Freunde meine Nachricht wirklich mal in ihrer Timeline zu Gesicht bekommen. Immerhin werkelt in der Reihung ein Algorithmus ordentlich mit. Und will ich jemanden ganz sicher lesen, dann kann ich noch immer auf sein Profil gehen, ihn per RSS abonnieren etc. Gerade da bietet z.B. Friendica interessante Möglichkeiten.
Die vielen Instanzen bergen natürlich ihre Tücken. Andererseits ermöglichen sie auch Interessengruppen zusammenzufinden. So können LGBTIQ+ Personen ihre „Safe Harbour“ Instanz wählen, aber trotzdem auch Kontakt nach außen halten. Bei speziellen sozialen Netzwerken ist dieses nach außen nicht möglich.
Das Fediverse ist wahrscheinlich nicht für jede:n. Und viele der 200 Mio Twitter Nutzer:innen und der über 1 Millarde Facebook Nutzer:innen wollen sich gar nicht mit Hintergründen auseinandersetzen. Unter dem Motto: Hier sind meine Freund:innen, hier bin ich auch und wir reden miteinander und was sich sonst hier tut ist mir eigentlich egal. Das ist an sich ein legitimer Ansatz.
Ich wollte mit meinem Artikel gar nicht jeden ins Fediverse bringen. Es geht mir ein wenig ums nachdenken, was für einen selbst passt.
Wenn dir ein öffentlich-rechtliches Soziales Netzwerk besser liegen würde, dann ist das ok. Vielleicht würde mir das auch sehr gut gefallen. Aber wir haben so etwas noch nicht (das Fediverse ist immerhin schon mal vorhanden). Und ich frage mich, wie wird das aufgesetzt, wie funktioniert öffentlich-rechtlich in einem solchen Netzwerk? Würde mich wirklich interessieren, sich das mal zu überlegen.
Ja, die Zeiten ändern sich. Deshalb finde ich es für mich mal interessant, nach 15 Jahren Twitter das Fediverse auszuprobieren und auszuloten, wozu es für mich gut ist und was ich damit machen kann. Und für mich ganz persönlich fühlt es sich mal recht gut an.
Mal schauen, was ich in einem Jahr oder in fünf Jahren darüber schreibe.
Das mit den unterschiedlichen APIs wird sicher ein Problem. Das habe ich zum Beispiel ja auch schon lokal, wenn Ich mit Python Software entwickle und viele externe Pakete verwende. Das wird zwangsweise dazu führen, dass Server mit veralteten Implementierungen irgendwann nicht mehr am Fediverse teilnehmen können.
Bei der Ausfallsicherheit hätte ich weniger Bedenken; das liegt ja nicht an der Gesamtheit sondern an den einzelnen Knoten. D.h. es kann sein dass einzelne Teile ausfallen, weil die betreffenden Server ausfallen, aber nicht das ganze System.
Vielleicht kommt es so, dass es entweder kleine individuelle Knoten (wie der hier von Robert) oder relativ große, von einem Team gemanagte Knoten mit vielen Benutzern geben wird. Wenn ein Knoten ausfällt ist der Schaden individuell möglicherweise hoch, aber in der Summe begrenzt. Das ist ja im Moment bei Blogs ähnlich.
Spam und anderer Missbrauch wird – spekuliere ich mal – werden der größere Kopfschmerz werden.
Überhaupt denke ich dass das Fediverse 2023 nicht ein einziges großes Ganzes wie Twitter sein wird, sondern in Teilbereiche zerfallen wird. Wir werden sehen ob das gut oder schlecht ist.
Die API ist eher mal ein Problem mit den jeweiligen Dritt-Anbieter-Apps. Solange die Applikation das AcitivityPub Protokoll unterstützen ist der Austausch gewährleistet. Was sich natürlich zeigt, dass es insbesondere spezielle Anwendungen wie Pixelfed, Peertube etc. gibt. Nachdem die Fotos und Videos hosten und rundherum dadurch spezielle Funktionen anbieten (Ordner, etc.) kann das nicht alles über ActivityPub durchgeschleust werden. Aber das muss es ja auch nicht unbedingt. Es reicht mir ja schon in meiner Timeline zu lesen, dass jemand dort ein neues Foto gepostet hat. Und dass der:die dortige dann meinen Kommentar darauf auch bei sich lesen kann.
Ja, kann sein, dass sich die Knoten/Instanzen bald in größere zusammenfinden und daneben noch die sind, die ihre ganz eigenen Instanzen nur für sich betreiben. Das war ja auch mit Pingbacks und Trackbacks ein Ansatz damals beim bloggen. Schlußendlich ging und geht es darum, dass wir mit unseren Postings im Austausch mit anderen bleiben.
Spam und Missbrauch ist natürlich immer eine Frage. Vielleicht ist da die dezentrale Aufteilung in kleinere Instanzen ein Vorteil. Die können so etwas eventuell besser für sich handhaben. Aber auch das wird sich erst in der Praxis zeigen, wenn jetzt der Zulauf größer wird und somit Menschen auch ein Geschäft wittern bzw. die Möglichkeit ihre kruden Gedanken unter die Menschen zu bringen.
Ad zerfallen. Gute Frage. Eigentlich ist es das jetzt schon. Denn es gibt Instanzen, die von vielen geblockt werden (müssen). Zum Beispiel manch Instanz aus den USA, wo unverblümt Nazi-Fotos gepostet werden und der Holocaust verleugnet. Eigentlich ist das #Fediverse nur mal die technische Möglichkeit der Verbindung von Instanzen und unterschiedlicher Software zueinander. Spannend wäre eine Analyse, welche Instanzen mit welchen verbunden sind, welche nicht, und welche Cluster das ergibt.