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Stirbt das Fediverse?

Ach, schon wieder Clickbait?

Nicht wirklich. Gestern entnahm ich meinem Feedreader den Artikel „Das Fediverse stirbt langsam“ von Lioh Müller auf GNU/Linux.ch.

Lioh argumentiert, dass die Nutzerzahlen seiner Accounts stark zurückgegangen ist. Auch die Interaktion würde weniger werden. Dazu präsentiert er auch einen Lackmustest:

Mein persönlicher Lackmustest bei solchen Ahnungen ist üblicherweise, einen neuen Account zu eröffnen und zu schauen, wie viele Follower tatsächlich mitkommen, ohne Zwangsmigration.

Nun, das ist für mich schon fraglich. Folge ich mehrere Menschen, dann übersehe ich in meiner Timeline solche Hinweise. Lese ich ihn dann überlege ich mir in dem Moment, ob ich überhaupt noch folgen möchte. Das Nicht-mehr-Folgen mag durchaus Trägheit bei manchen zeigen, bei anderen aber auch eine aktive Entscheidung. Auch wenn sie „gegen“ mich gerichtet ist.

Lion vermixt diese Kritik noch mit der Entscheidung von Mastodon eine Zitat-Funktion einzuführen. Der Abgang des Mastodon-Gründers wird zusätzlich noch als Flucht vor einer sterbenden Plattform bezeichnet.

Lioh führt noch mehrere Gründe an, die für weniger Interaktion sorgen können. Mit manchen mag er durchaus recht haben. Es werden sich immer Menschen finden, bei denen das zutrifft.

Aber stirbt das Fediverse wirklich, wenn auch nur langsam?

Einschub: C0D1 hat einen Artikel geschrieben, der ein wenig mit dem Thema zusammenhängt: „Wieviel Traffic kommt wirklich von Mastodon?

An dieser Stelle muss ich aber eindringlich feststellen, dass Mastodon nicht das Fediverse ist. Das Fediverse umfasst ein Vielzahl von anderen Plattformen wie Friendica, Pleroma, Pixelfed, Bookwyrm, …. und sogar Blogs wie das meine, dass mittels ActivityPub Plugin an das Fediverse angebunden ist.

Aber zurück zur großen Frage. Indirekte Antwort. Auch Blogs sterben schon seit Jahrzehnten. Und doch gibt es noch immer viele, organisieren Menschen Blogcamps oder BlogWochen.

Ich habe die Frage nach dem sterben auch gleich meiner Fediverse Leser:innenschaft gestellt. Siehe da, es gab einige Kommentare. Wenn auch nur eine handvoll meiner 900 Follower geantwortet haben, ist das für mich ein schönes Lebenszeichen.

Das Folgende ist meine eigene Erfahrung und muss sich für niemanden im Fediverse auch so anfühlen.

Interessant ist für mich, dass ich immer wieder Kommentare von Menschen bekomme, die mir gar nicht folgen. Manchmal sind es sogar dieselben Personen. Vielleicht folgen sie mir ja doch, indem sie den RSS-Feed meiner Beiträge abonniert haben oder auf viele andere Arten, die manche Fediverse-Anwendung erlaubt. 

Die Interaktivität mit anderen Fediverse-Nutzer:innen ist sehr unterschiedlich intensiv. Manches Posting geht quasi im Zeitenstrom unter. Auf andere wird stärker reagiert, sie werden geliked und insbesondere in die eigene Timeline gepusht. Und immer wieder erhalte ich auch Antworten auf Beiträge, die ich vor Wochen oder Monaten geschrieben habe. 

Manche behaupten es ja, aber für mich gilt: Ich finde viel im Fediverse über Hashtags. Damit muss ich nicht unbedingt jemandem folgen. Ich lese das, was für mich interessant ist, wenn er/sie es entsprechend taggt.

Manche meinen, dass Hass und Hetze gegen Minderheiten auch im Fediverse Einzug gehalten haben. In meiner Timeline sehe ich das nicht wirklich. Aber vielleicht habe ich mir da auch eine Blase geschaffen. Im Fediverse können solche Blasen allerdings ganze Instanzen und darüber hinaus sein. Gerade die kleineren Instanzen erlauben es, ein gutes Umfeld zu schaffen.

Ich lese viel, aber kommentiere wenig. Manchmal fällt mir einfach nicht die richtige Formulierung ein, manchmal freut es mich auch einfach nicht. Es ist wie bei Blogger:innen, die sich über weniger Kommentare beschweren. Aber weniger Kommentare bedeuten auch weniger Leser:innen. Nicht immer. Haben, wie Lioh vermutet, viele Angst, zu kommentieren, weil sie gleich schief angegangen werden, weil die Schwelle für Beschimpfung und Hass viel niedriger geworden ist? Diese niedrigere Schwelle sehe ich auch. Ein Diskurs, in dem nicht jeder Tippfehler in die Waagschale geworfen wird, ist schon mal eine Freude. Aber die gibt es noch. Und für mich öfters im Fediverse als auf anderen Plattformen.

Und was sagen eigentlich Followerzahlen aus? Ich freue mich über alle, die auf den entsprechenden Button klicken. Ich hoffe, dass sie sich für das interessieren, was ich poste. Aber die Anzahl sagt nichts über die Interaktion aus. Ja, vielleicht wird man öfter geliked oder etwas wird öfter repostet. Wird dadurch mehr kommentiert und diskutiert? Werden dadurch mehr Ideen und neue Gedanken eingebracht? Denn erst dann ist ein Posting so richtig angekommen. Ein Like erfreut, aber ein Austausch bringt uns vielleicht gemeinsam zu einer neuen Erkenntnis. Oder es hat einfach mehr Spaß gemacht.

Stirbt das Fediverse? Ich weiß es nicht. Und selbst wenn, was würde das überhaupt bedeuten? Ich weiß nicht einmal, wie viele Instanzen meine Postings erreichen, wie viele Instanzen es gibt, die mein Profil gesperrt haben, und so weiter. 

Das Fediverse ist ein lebendiger Organismus, der ohne Planung wächst und schrumpft.

Für mich ist das Fediverse so lange lebendig, wie ich noch Menschen finde, deren Postings ich gerne lese und manchmal auch kommentiere. Es ist so lange lebendig, solange immer wieder Menschen es ausprobieren und manche davon bleiben. Es lebt immer wieder auf, wenn wir gemeinsam neue Dinge darin ausprobieren. Ja, das Fediverse ist ein großer Versuch und sollte vielleicht für immer so bleiben.

Und letztlich ist es nur eine Schnittstelle: ActivityPub. Morgen könnten sich schon Tausende WordPress-Blogs daranhängen und übermorgen könnte eine andere Applikation ihren Nutzer:innen den Weg in ein föderiertes Universum freimachen.

Für mich wäre das Fediverse erst dann gestorben, wenn nur noch eine einzige Anwendung dominiert oder jemand meint, ActivityPub ganz für sich allein definieren zu können. Es wäre tot, wenn Instanzenbetreiber sich aufgrund rechtlicher Hürden keinen Betrieb mehr trauen würden. Es ist tot, wenn Kommerz und Werbung die Postinglandschaft durchziehen würden. Es wäre zu Ende, wenn Hass und Hetze nicht mehr zu einem harten Eingreifen der Moderationen führen würden.

Ich sollte den Artikel in meiner To-do-Liste bookmarken und in zehn Jahren nachsehen, was aus meinen Gedanken und der Frage geworden ist.

Bis dahin bin ich gerne noch aktiv und erfreue mich an den lebendigen Teilen des Fediverse.

Das Fediverse stirbt! Lang lebe das Fediverse!

6 Kommentare

  1. @roblen Danke. Ein kluger Beitrag zu dieser leidigen Diskussion.

    • @sandhoferlitter @roblen
      Eine Diskussion, die völlig an mir vorbeiging.
      Und ich denke auch nicht, dass das komplette Fediverse den Bach runter geht. Leichte Fluktuationen sind völlig normal.

      • @andijah @sandhoferlitter @roblen@nureinblog.at Das Fediverse war wohl immer schon recht „agil“. Wir werden sicherlich noch viel damit erleben 🙂

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