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w2atTalk: Beate Firlinger von MAIN_Medienarbeit Integrativ

Meinen zweiten [[w2atTalk]] (siehe Artikel zur Grundidee des w2atTalks) führte ich mit Beate Firlinger von MAIN_Medienarbeit Integrativ, die ich beim BarCamp Kärnten kennenlernte.

MAIN_Medienarbeit Integrativ versteht sich als Plattform für barrierefreie Information, Kommunikation und Öffentlichkeit. Die Website von MAIN bietet Nachrichten und Meinungen aus der Welt inklusiver und barrierefreier Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und nimmt im MAIN_blog die Barrieren in der Kommunikation kritisch unter die Lupe.

Beate Firlinger ist gelernte Journalistin, war lange freiberuflich für den ORF-Hörfunk tätig, danach Teilhaberin einer kleinen Multimediafirma, hat dann das Feld gewechselt und führt nun, gemeinsam mit ihren Kolleginnen von MAIN, integrative und barrierefreie Bildungsprojekte im Bereich Medien und Public Relations durch. Sie betreibt Öffentlichkeitsarbeit für das Anliegen der barrierefreien Kommunikation und ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Vereins MAIN_Medienarbeit Integrativ in Wien.

1) Welche Frage wird Ihnen bezüglich Barrierefreiheit im Internet am häufigsten gestellt?

Beate Firlinger: Häufig geht es natürlich auch hier ums liebe Geld, also darum, ob die Gestaltung eines barrierefreien Webauftritts mehr kostet oder mit welchen Kosten ein barrierefreier Relaunch verbunden wäre. Eine Frage, die von Fachleuten gerne mit einer Gegenfrage beantwortet wird: Wieviel kostet ein Auto?

Viele unserer Gespräche drehen sich um grundsätzliche Kriterien, was denn unter Web Accessibility überhaupt zu verstehen ist, was barrierefreie Websites von anderen Internetauftritten unterscheidet. Dann geht es oft auch um Fragen nach Tests, wie die Validität des Quellcodes oder die Websites auf Barrieren geprüft werden können.

Gefragt wird immer wieder auch nach Agenturen, die auf Web Accessibilty spezialisiert sind. Da wir von MAIN ja keine Fachleute für Programmierung und Webdesign sind, verweisen wir dann an ExpertInnen, wenn es um die technische Beratung bzw. Umsetzung geht.

In letzter Zeit ist auch ein steigender Informationsbedarf zu den rechtlichen Grundlagen für barrierefreies Internet in Österreich zu verzeichnen. In diesem Bereich herrscht noch große Unklarheit, vielleicht auch Ignoranz bei vielen, die es eigentlich wissen sollten. Schließlich sind nicht nur Behörden, sondern auch Unternehmen (unter bestimmten Bedingungen) gesetzlich verpflichtet, ihre Informations- und Kommunikationsangebote im Internet für behinderte Menschen zugänglich und nutzbar zu gestalten.

2) Welche Frage sollte bezüglich Barrierefreiheit im Internet häufiger gestellt werden?

Beate Firlinger: Das ist eine gute Frage. Im technischen und technologischen Bereich gibt es sicher einige Punkte, die noch nicht ausreichend diskutiert werden. Das ist z.B. die Frage nach der Zugänglichkeit von Dokumenten im Internet, Stichwort: barrierefreies PDF, oder das Thema Multimedia barrierefrei.

Gerade multimediale Tools sind im Zusammenhang mit Barrierefreiheit ein aktuelles und spannendes Kapitel, weil sich damit für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen neue qualitative Zugänge zur Wissensgesellschaft eröffnen. Denn bei der Barrierefreiheit spielt ja das so genannte "Zwei-Kanal-Prinzip" (auch "Mehr-Sinne-Prinzip" genannt) eine ganz wesentliche Rolle. Dieses Prinzip aus dem "Universellen Design" bedeutet, dass bei der Gestaltung von Informationen mindestens zwei der drei Sinne Sehen, Hören, Fühlen gleichzeitig berücksichtigt werden müssen, um allen NutzerInnen gerecht zu werden.

Angesichts von Web 2.0 und Social Media stellt sich also die Frage nach multisensorischen Lösungen, die Inhalte in Text, Bild und Ton ausgeben und somit für alle Sinne zugänglich machen. Das heißt, es geht um Onlinezeitungen zum Anhören, Podcasts zum Mitlesen, News in Gebärdensprache, etc., die auf barrierefreien Websites zur Verfügung stehen. Da wir derzeit aber noch so viele Internetauftritte haben, die nicht einmal die Mindeststandards der Web Accessibility erfüllen, sind barrierefreie multisensorische Online-Angebote noch unterbelichtet.

3) Was kann ein Verein wie MAIN_Medienarbeit Integrativ zur Bewusstseinsarbeit leisten?

Beate Firlinger: Wenig und viel zugleich. Bewusstseinsbildung ist schwierig zu messen. Wir verstehen uns jedenfalls als Plattform für barrierefreie Kommunikation und möchten Raum schaffen für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zum Thema, sei es durch Publikation und unsere Website, sei es durch Workshops und Lehrgänge, sei es durch Treffen und Veranstaltungen, die wir selber durchführen oder an denen wir uns beteiligen.

Die persönlichen Begegnungen halte ich trotz der vielen Möglichkeiten der virtuellen Vernetzung für sehr wichtig, vor allem wenn Fachleute mit Behinderungen ihre Erfahrungen mit Barrieren im Internet veranschaulichen und weitergeben. Erst dann wird spürbar und vielen Leuten wirklich klar, was mangelnde Web Accessibility eigentlich bedeutet.

Was uns auch zielführend erscheint, ist die Weiterbildung und Sensibilisierung von PR-Schaffenden und Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen und Einrichtungen. Denn für eine möglichst barrierearme Öffentlichkeitsarbeit braucht es Strategien, die sich nicht auf technische Probleme beim Internetauftritt beschränken, sondern Barrierefreiheit als Anliegen und Aufgabe in die gesamte Unternehmenskommunikation miteinbeziehen. Das betrifft auch die Frage, ob Menschen mit Behinderungen als KundInnen wahr- und ernstgenommen werden und wie sie mit entsprechend barrierefreien PR-Maßnahmen als Dialoggruppen angesprochen und erreicht werden können.

4) Was sind die häufigsten Barriereprobleme bei Weblogs?

Beate Firlinger: Viele der Weblogs verwenden Software, Open Source Lösungen und CMS, die eine barrierefreie Ausgabe von Inhalten nicht grundsätzlich verunmöglichen und entsprechend adaptiert werden können. Was vermutlich fehlt, sind das Wissen oder Können oder auch die Bereitschaft mancher BlogerInnen, die Kriterien für Barrierefreiheit im eigenen Weblog umzusetzen.

Was uns auch auffällt, ist die eher schlechte Strukturierung des Inhalts einiger Weblogs. Das ist weniger eine Frage der Accessibility, sondern mehr der Usability, wie der Content "daherkommt". Für sehbehinderte UserInnen ist beispielsweise ein klar strukturiertes Layout zur Orientierung sehr wichtig, so manche Tag Cloud mutiert da aber schnell zur undurchschaubaren Buchstabenwolke.

5) Bei all den technischen Fragen geht der barrierefreie Sprachgebrauch oft unter. Was sollte man hierzu auf alle Fälle beachten?

Beate Firlinger: Barrierefreier Sprachgebrauch im Internet hat schon auch einige technische Implikationen, zum Beispiel die Sprachauszeichnung, die notwendig ist, damit ein Screenreader Webinhalte oder einzelne Begriffe in der jeweiligen Sprache richtig aus- und vorliest. Auch die inhaltliche Gliederung von Texten und die Auszeichnung von Überschriften und Zwischentiteln sind sowohl für die Accessibility als auch für die Usability wichtig.

Sollte die Frage das "Wording" zum Thema "Behinderung" betreffen, so ist dies ein weites Feld. Generell ist dazu sagen, dass es nicht "die Behinderten" gibt, sondern viele unterschiedliche Menschen, Frauen, Männer, Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen.

Die Bezeichnung "behindertengerecht" bezieht sich zwar auf alle Behinderungsgruppen, wird aber vor allem mit dem Rollstuhl konnotiert. „Barrierefrei“ ist jedenfalls besser, da die barrierefreie Zugänglichkeit ja nicht nur für Menschen im Rollstuhl relevant ist, sondern auch viele andere BenutzerInnen des öffentlichen und des virtuellen Raums.

Auch die Begriffe „Barrierefreiheit“ und „barrierefreies Web“ haben so ihre Tücken. Denn es gibt vielfältige Barrieren und damit verbunden auch vielfältige Anforderungen an die Gestaltung der Umwelt. Das bedeutet auch, dass es niemals 100prozentige Barrierefreiheit für alle geben kann, bestenfalls eine nachhaltige Barrierearmut. Der englische Ausdruck "Accessibility" beschreibt wesentlich besser, worum es eigentlich geht: um ein Höchstmaß an Zugänglichkeit für unterschiedliche Gruppen von Benutzerinnen und Benutzern.


Anmerkung meinerseits: Auch "Nur ein Blog" hat eine Tag Cloud und ist insgesamt sicherlich noch kein Vorreiter in Sachen Barrierefreiheit. Ich nehme jedoch dieses Interview zum Anlass um auch in dieser Richtung an meinem Blog zu arbeiten.

4 Kommentare

    • Danke für die Ergänzung. Die Gliederung von Inhalten und insbesondere die simple und einleuchtende Navigation war und ist immer wieder eine Frage für mich und die Gestaltung meines Weblogs.
      Danke für die Erwähnung im MAIN Weblog.

  1. Vor rund 2 Monaten interviewte ich Beate Firlinger von MAIN_Medienarbeit integrativ für einen w2atTalk. Die "Revanche" hat nicht lange auf sich warten lassen. Im MAIN_blog findet sich nunmehr ein Interview mit mir zum Thema "Accessbility&qu

  2. Ob Barcamp, Webmontag oder First Tuesday ? Wer sich für das Web (2.0) und die neuen Technologien begeistert, hat mittlerweile vielfältige Möglichkeiten, sich mit anderen Fachleuten oder Interessierten persönlich auszutauschen. Und…

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