Kathrin Gärtner (siehe ihr Blog Sex seriös ) hat mir folgende Frage geschickt:
Lieber Robert, angeregt von Davids Frage möchte ich auch eine Frage nach einem (Menschen)Recht stellen, die mich immer wieder beschäftigt zum Beispiel wenn ich über Sexarbeit und Sexualassistenz z.B. für Menschen mit Behinderung nachdenke, über Konzepte von Monogamie, Non-Monogamie und sexuelle Selbstbestimmung aber auch über sexuelle Gesundheit: Gibt es ein Recht auf Sex(ualität)? Ich bin gespannt! Liebe Grüße Kathrin
Wieder mal eine recht komplexe Frage, der ich mich – nach vielem nachdenken – nur sehr fragmentarisch und subjektiv annähern kann.
Wer nur Fakten lesen will, die/der schaut sowieso in die Wikipedia und liest etwas über Sexuelle Rechte – Wikipedia oder sucht besser noch auf Fachseiten nach der Thematik.
Hab ich ein Recht auf Sex(ualität)?
Das fängt sicherlich damit einmal an, für sich zu definieren, was einem zu Sexualität alles einfällt. Ist es nur der sogenannte „Geschlechtsakt“, sind es alle Aktivitäten und Gedanken, die einen in einem gewissen Sinne erregen bzw. stimulieren.
Ich würde mal mit der anderen Grenze anfangen. Solange mein sexuelles Verlangen auch andere mit einbezieht, soll mal alles möglich sein, solange alle (erwachsenen Menschen) es einvernehmlich tun. Ich wollte eigentlich „und ohne Schaden“ dazuschreiben. Aber da wird es schon schwierig. Gewisse Sexualpraktiken fügen mir Schmerzen zu, hinterlassen vielleicht auch Wunden – und etliche Menschen finden das auch ok. Also, einvernehmlich ist wohl die Mindestformel. Alles was nicht einvernehmlich ist, dazu habe ich kein Recht. Aber auch einvernehmlich muss man sich genauer anschauen. Denn auch manch eineR fühlt sich bedrängt, ist unüberlegt, … und gibt sein/ihr Einverständnis zu Dingen, die man eigentlich nicht will.
Ich glaube, ich habe das Recht auf Sexualität in meinem Kopf. Ich darf Phantasien haben.
Ich darf meinen Körper mögen. Ich darf ihm gutes tun. Das beinhaltet dabei nicht nur Masturbation. Wobei: Es ist traurig, dass es da noch immer Stimmen gibt, die „Selbstbefriedigung“ für eine Verführung des Teufels halten.
Berührung
Und da fällt mir etwas ganz essentielles ein: Berührung. Etwas was gerade manchen in Zeiten von Covid-19, Ausgangssperren und 1 Meter Abstand vermehrt schmerzlich zu vermissen begonnen haben.
Viele von uns geniessen Berührung, wir sehnen uns berührt zu werden und wir schenk(t)en täglich Berührungen. Die Hand, die wir dem gegenüber reichen. Die Hand auf der Schulter, die Trost geben will. Jesus, der seinen Jünger die Füße wäscht, sie somit dort berührt, wo sie es nicht erwarten. Wobei: Religion(en) und Sexualität wären noch ein weiteres Thema.
Als Jugendliche haben wir uns gegenseitig die Haare gewaschen und ich habe es genossen massierende Finger auf meinem Kopf zu spüren. Wir berühren uns beim Tanzen mal nur an den Händen, mal den Körper umfassend. Wer segnet berührt oft nicht nur im Geiste.
Sterbenden hält man die Hand, berührt sie und gibt ihnen vielleicht noch das Gefühl, dass da jemand ist, der mich begleitet. Traurige Kinder wollen in den Arm genommen werden, traurige Erwachsene auch.
Wir massieren unsere schmerzenden Füssen und gegenseitig. MancheR, der/die Hände auflegt will damit auch heilen.
Berührungen lindern Schmerzen, vertreiben Einsamkeit und können ein erotisches Kribbeln erzeugen.
Ich brauche Berührungen. Ich sehne mich nach Berührungen, den kleinen wie den großen. Die Berührungen, die mir Zuversicht geben, die mir Trost spenden, die mich einer Freundschaft versichern, das letzte Spüren vor dem Abschied und die freudige Umarmung beim Wiedersehen. Und eben das Kribbeln, dass durch Körper und Geist geht, wenn du mich berührst …
In der Sterbegleitung redet man auch über berühren, ist es zumindest teilweise ein Merkmal ein qualitativ guten Betreuung. Sterbende begleiten – Dachverband HOSPIZ Österreich
Ich habe Menschen erzählen hören, wie sie bei „Free Hugs“ berührendes mit Menschen erlebten. Wie diese zu weinen begannen, wie diese Berührung etwas in ihnen löste – weil sie sie lange vermisst hatten.
Mein Recht
Aber damit bin ich noch immer nicht bei der Antwort zu der obigen Frage angelangt. Habe ich ein Recht auf Sexualität. Wohl keines, dass ich einfordern kann. Nicht im Sinne, dass ich ein Recht darauf habe, dass mir jemand meine sexuellen Wünsche erfüllt.
Aber ich darf (hoffentlich) darauf pochen, dass ich ein Mensch mit eigenständigen Wünschen, Fantasien sein darf und mit dem passenden Menschen sie auch unbeschämt leben darf.
Die Antwort
Ich habe lange an diesem Artikel „gekaut“. Sexualität ist etwas sehr privates und doch auch etwas, was wir in vielen Dingen auch in die Öffentlichkeit bringen. Es gibt so viele Aspekte, über die man redet, die man zeigt. Und dann so vieles, über das wir selten reden oder nicht einmal nachdenken. Ich müsste noch zig tausend Zeilen schreiben und wäre noch immer erst am Anfang.
Vielleicht ist es auch das. Nicht nur über mein Recht auf Sexualität zu reden sondern auch zu überlegen und nachzuspüren, was für mich Sexualität ganz persönlich bedeutet …
Fußnote:
In meinem Beitrag 10 Fragen 10 Antworten 2020 habe ich zu einer kleinen Aktion aufgerufen:
Stellt mir über die Kommentarfunktion, per Twitter, per Facebook,… Fragen. Egal welche. Zumindest die ersten 10 (von 10 unterschiedlichen Personen) werde ich auf alle Fälle beantworten. Ganz sicher. Und wenn sie zu persönlich sind (die Fragen) finde ich schon einen Weg für eine etwas andere Antwort 😉 Wobei natürlich Fragen zu diesem Blog, zu Serendipity, zu meinem Webleben, … ebenfalls möglich sind.
Warum ich so eine Aktion starte? Ich bin einfach neugierig, ob und welche Fragen so auftauchen. Und was ich bei der Beantwortung so selbst (über mich) lerne. Also, überrascht mich.